
In Zeiten fortschreitender Digitalisierung ist es von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen rasch auf neue Entwicklungen am Markt oder veränderte Anforderungen ihrer Kunden reagieren können. Dabei sollte Software kein Hindernis für Prozessverbesserungen und Innovationen sein, sondern diese gezielt fördern. In diesem Zusammenhang spielt Low Code eine zunehmend wichtigere Rolle. Denn: Nicht immer ist es notwendig und sinnvoll, dass sich ausgebildete Programmierer mit einem Problem oder einer Anpassung befassen.
Citizen Developer als Unterstützung bei der Software-Entwicklung
Low Code ist die Antwort auf traditionelle Herausforderungen und Engpässe bei der Software-Entwicklung zugleich. Es bedeutet nichts anderes, als dass auch Mitarbeiter ohne Programmierkenntnisse mittels Konfigurations-Tools die Möglichkeit bekommen, Anwendungen zu erstellen – und zwar ganz unabhängig davon, um welche Abteilung es sich handelt. Wichtig dabei ist, dass das Projekt von Anfang an in die richtigen Bahnen gelenkt wird. So ist es unter anderem Aufgabe der IT, vorab gewisse Prozesse festzulegen, an denen sich die Citizen Developer orientieren können. Damit werden auch bestimmte Anforderungen definiert, die mithilfe der Low-Code-Plattform gelöst werden können, während es wiederum andere Themen gibt, für die es auch weiterhin die professionelle Unterstützung eines Kollegen/einer Kollegin aus der IT bedarf. Das heißt, dass die Hoheit über die Anwendung inklusive der Themen Governance und Compliance weiter in der IT angesiedelt ist, während die Fachbereiche, in denen eben nicht erfahrene Programmierer sitzen, mithilfe der zur Verfügung gestellten Plattform für sie passende Anwendungen erstellen können.
Fachgerechte Schulungen zur Arbeit mit Low-Code Plattformen notwendig
IT-fremde Mitarbeiter, die sich dafür begeistern lassen, in dieses Thema einzusteigen, müssen zunächst natürlich an die Hand genommen werden. Soll heißen: Die IT-Fachabteilung muss den künftigen Citizen Developern zeigen, wie sie die bereitgestellte Low-Code-Plattform nutzen können. Eine gewisse IT-Affinität ist hier natürlich zuträglich. Die notwendigen Skills werden den Anwendern in gezielten Trainings beigebracht, die die unternehmensinterne IT, aber auch externe Anbieter von Low-Code-Plattformen übernehmen können. Professionelle Dienstleister bieten entsprechende Schulungen an, die von einwöchigen Kursen bis hin zu dreimonatigen Classroom-Trainings reichen. Gelingt es einem Unternehmen auf diese Weise, Mitarbeiter fit zu machen für die Nutzung von Low-Code-Plattformen, entsteht eine klassische Win-Win-Situation mit Vorteilen sowohl für die IT-Abteilung als auch für das Business insgesamt. Schließlich sind Anwender, die selbst in einer Fachabteilung arbeiten, viel näher dran an den jeweiligen Bedarfen ihres Bereichs, als es die Kollegen aus der IT je sein können. So wird die zentrale IT-Abteilung mittelfristig entlastet, während die Software in der Anwendung näher an die User rückt.
Chancen und Risiken beim Einsatz von Low-Code Anwendungen
Bei den vielen Vorteilen, die sich hier bieten, sind die Risiken allerdings auch nicht zu unterschätzen. Bei einer immer komplexer werdenden Applikationslandschaft, die eng miteinander verwoben ist, muss sehr genau geprüft werden, was geht und was sich eben nicht „mal eben so“ umsetzen lässt. Es ist nicht damit getan, Apps einmalig zu entwickeln, sondern diese Anwendungen müssen dann auch zuverlässig betrieben werden. Dabei reichen die Anforderungen von der Überwachung der Funktionalität bis hin zur Möglichkeit, etwaige Fehler melden zu können – und zwar bei kritischen Anwendungen möglicherweise 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Auch dann, wenn Anwendungen von Citizen Developern „entwickelt“ werden können, liegt ihr Betrieb im Anschluss also häufig doch bei der IT.
Auch das Thema Change Management spielt in diesem Kontext eine große Rolle. So stellt sich etwa die Frage, wer sich um die Weiterentwicklung oder Anpassung der Apps kümmert. Insbesondere dann, wenn die Apps Schnittstellen beispielsweise zum ERP-System haben, ist große Vorsicht geboten, denn Veränderungen im SAP-System haben mitunter Auswirkungen auf die verbundenen Apps. Es ist in jedem Fall zu vermeiden, dass durch eine Low-Code-Anwendung Probleme im zentralen ERP-System verursacht werden.
Viele Software-Anbieter wie beispielsweise ServiceNow oder Clarizen werben heute auch schon damit, dass deren SW Produkte mit Low-Code-Mitteln sowohl überwiegend selbst eingerichtet als auch im Anschluss betrieben werden können. Auch das birgt sowohl Chancen als auch Risiken. Einerseits können damit die externen Kosten für die Einführung und den Betrieb deutlich gesenkt werden, man kann mit eigenen Ressourcen häufig viel flexibler auf Veränderungen reagieren und Change Requests viel schneller umsetzen. Auf der anderen Seite birgt eine solche Einführung das hohe Risiko, dass hier einerseits mehr Zeit gebraucht wird, weil man sich ja erst einmal mit dem System vertraut machen muss. Zudem besteht andererseits das Risiko, dass Funktionalitäten nicht optimal umgesetzt werden, weil eben keine Erfahrungen mit einem solchen System vorliegen.
Citizen Developer als Lösung für den Fachkräftemangel?
Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels ist es darüber hinaus fraglich, ob Unternehmen ausreichend eigene personelle Ressourcen finden, die ein solches System sowohl implementieren als auch betreiben können, oder ob man dies besser in die fachkundigen Hände eines externen IT-Providers legt. Natürlich sind viele Veränderungen, die in einem solchen System vorgenommen werden müssen, eher einfach. Mal ein Feld hinzufügen, mal eine Maske ändern – das ist sicher ohne tiefere Kenntnisse möglich. Sobald dann aber die Konfiguration bestimmter Abhängigkeiten (wenn-> dann) notwendig ist, sind generelle Programmierkenntnisse notwendig und die jeweilige Programmiersprache des Systems muss entsprechend beherrscht werden. Die Aufwände entstehen erfahrungsgemäß bei den komplexeren Regeln und Abhängigkeiten und nicht bei dem Hinzufügen einfacher Felder, sodass hier dann auch nicht mit signifikanten Einsparungen zu rechnen ist. Angesichts der Tatsache, dass dann zwei Parteien an dem System „herumschrauben“, ist dies eine kaum zu rechtfertigende Verwässerung der Verantwortung für ein solches System.
Fazit: Zusammenarbeit eines externen Providers mit eigenen Ressourcen ist die beste Lösung
Will man Fachbereiche langsam an IT-Themen heranführen, können Low-Code-Plattformen oder -Anwendungen eine sehr gute Möglichkeit sein, dieses nach und nach umzusetzen.
Bei aller Euphorie darf man aber auch hier die Risiken nicht außer Acht lassen und muss genau abwägen, welche Variante die optimale für das jeweilige Unternehmen ist. Häufig ist ein Kompromiss die beste Lösung, bei der die Implementierung überwiegend durch einen externen Provider erfolgt, mit zunehmender Unterstützung durch eigene Ressourcen – natürlich mit klaren Regeln und Verantwortlichkeiten. Der Betrieb wird dann Stück für Stück mit dem Wachsen der eigenen Erfahrung selbst übernommen. Dabei ist es häufig sinnvoll, den externen IT-Partner als Back-up weiterhin im Zugriff zu haben.
Über den Autor
Seit rund einem Vierteljahrhundert ist Mathias Hess in der digitalen Welt unterwegs – in nationalen mittelständischen Unternehmen und in internationalen Großkonzernen, als CIO und IT-Leiter sowie in verantwortlichen Management-Positionen bei IT-Service-Providern. Er kennt alles, was das moderne IT-Umfeld beim Thema Digitalisierung als Chancen, aber auch an Risiken zu bieten hat. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Projektmanagement, sowohl mit der Einführung neuer Anwendungen und Prozesse (ITIL) als auch in der Umsetzung von Outsourcing-Projekten und komplexen Offshore-Leistungen.